Man müsse endlich anfangen, im großen Stil abzuschieben, forderte Olaf Scholz vor gar nicht langer Zeit. Ein Lippenbekenntnis selbstverständlich, denn eine weitere unruhige Silvesternacht stand vor der Tür und auf Deutschlands Straßen tobten sich die Unterstützer der Hamas aus. Angesichts katastrophaler Umfrageergebnisse für die Ampel gab der Kanzler den knallharten Remigrationspolitiker - freilich ohne eine ähnlich fulminante Wirkung zu erzielen wie der Bericht des "Recherchecollectivs Correctiv", der im Moment für Schnappatmung in den Medien sorgt. Scholz hat offenbar das Glück, in der "richtigen" Partei zu sein. Niemand ist ihm auf den Fersen, um auf der Suche nach möglichen Geheimtreffen durch ein Fenster zu spähen. Vielleicht auch deshalb, weil niemand seine Ankündigung wirklich ernst genommen hat.
Ein Nazi-Framing blieb ihm jedenfalls erspart, niemand sprach von "Deportationen" oder "Vertreibungen". Eine zweite Wannseekonferenz soll gar in Potsdam stattgefunden haben. Diese Aussage verharmlost nicht nur das Ausmaß der damaligen Mordplanung der Nationalsozialisten, sondern zeigt auch eine gehörige Portion düsterer Fantasien und Selbstüberschätzung: So als gäbe es außerhalb Deutschlands keinen sicheren Ort für alle Mühseligen und Bedrängten der Welt und die Grünen seien so etwas wie die Gralshüter dieser Sicherheit. Jeder, der Deutschland verlassen muss, fällt beim Übertreten der Grenze auf der Stelle tot um, wenn unser Land sich seiner nicht mehr annimmt.
Um derlei Parallelen zu vermeiden, wartete Correctiv wohl auch seit November ab, bevor es die große Bombe platzen ließ, die angesichts steigender Zustimmung für die AfD jetzt auch von den Medien gern als Köder geschluckt wird. Werteunion, die Schwefelpartei und ein österreichischer Aktivist, dessen Namen man auf Facebook nicht nennen darf, wenn einem sein Konto lieb ist, an einem Ort versammelt: Das bietet viel Stoff für übelwollende Spekulationen über finstere "Geheimpläne". Man weiß zwar nicht genau, was letztendlich besprochen wurde, ist sich aber sicher, dass es bei diesen Gästen um etwas Verfassungswidriges gehandelt haben muss - im Zweifelsfall gegen die ungeliebten Angeklagten. Die CDU droht ihren konspirierenden Mitgliedern mit Rauswurf, obwohl sich Friedrich Merz jüngst selbst zum Thema "Zahnersatz" in die Nesseln gesetzt hatte. Moderator Micki Beisenherz fürchtet schon jetzt um seine Pflege im Alter, und bei Ricarda Lang steht - wie üblich - durch das ominöse Treffen schon das vierte Reich vor der Tür. Während Beisenherz Migranten also offensichtlich nur als Personal zum Reinigen seines Nachttopfs wahrnimmt, tut Frau Lang genau das, was deutsche Politiker gern machen, wenn sie ein Ziel durchsetzen wollen: Sie spannen die deutsche Vergangenheit vor ihren Karren.
In guter linker Tradition wird der Nationalsozialismus einmal wieder zum Universalschlüssel für jegliches Ziel, das man erreichen möchte. Dabei ist es vollkommen egal, ob man sogar den Nachfahren der damaligen Opfer Schaden zufügt: Gerade überlegt etwa die Ampel, noch mehr von jenen Palästinensern aufzunehmen, deren Antisemitismus noch vor ein paar Wochen die Gemüter bewegte und Scholz Abschiebungen fordern ließ. Da reagieren Grün und Rot flexibel, auch was die Rechte von Frauen und Homosexuellen angeht. Totalitäres Gedankengut darf ruhig gepflegt werden, wenn es von den Richtigen kommt, das halten die Grünen, wenn es um "Klimabelange" geht, bei sich selbst schließlich genauso. Die Lehre aus dem Nationalsozialismus lautet also nicht, Demokratie zu bewahren, sondern im Gegenteil alles zu diffamieren, was dem eigenen Weltbild widerspricht.
Hier wird nichts bewältigt, sondern das passend gemacht, was gemäß der aktuellen Lage passend gemacht werden muss. Der Eigennutz dahinter wird nicht erst heute sichtbar. Seit den Sechzigern berufen sich Linke gern auf Marcuses Idee von der "repressiven Toleranz" und seine Vorstellung von der Existenz einer objektiven Wahrheit, was letztendlich bedeutet, Meinungsfreiheit nur im bescheidenen Rahmen der eigenen Ideologie zuzulassen und alles andere als "rechte Bedrohungslage" zu definieren. Noch zu meinen Studienzeiten in den Neunzigern führte das zu einem Kreislauf der Selbstbeschäftigung, bei dem es hauptsächlich darum ging, ob die anderen Studentengruppen an der Uni eventuell ein bisschen weniger links agierten als man selbst. Die Vokabel "Faschismus" ging den Beteiligten schon damals leicht von der Hand und betraf alles, was einem bequemen Studienverlauf im Wege stand, etwa die Vorgabe, gewisse Veranstaltungen besuchen zu müssen, während doch so viel Wichtigeres zur Rettung der Unterprivilegierten in die Wege geleitet werden sollte. Wer verfolgt nun die richtigen Ziele, die "Volksfront von Judäa" oder die "Judäische Volksfront"?
Auch wenn es vielen Linken ein Graus ist, mit Judäa in Verbindung gebracht zu werden, merkte ich erstmals bei der Diskussion um den Film "Das Leben des Brian", dass die vorgebliche Sorge um das Wohlergehen einer ethnischen Gruppe ein willkommener Vorwand sein kann, um in Wahrheit eigene Interessen zu vertreten. Vor allem links angehauchte Kirchenvertreter, gern auch mit Palästinensertuch um den Hals, behaupteten voller Inbrunst, der Film sei "antisemitisch". Nun ist die Bezeichnung "Rübennase" tatsächlich nicht sehr charmant, aber letztendlich nimmt die Handlung gerade linke Revolutionäre aufs Korn, was der eigentliche Grund des Missfallens sein dürfte. Ansonsten greift "Das Leben des Brian" auch historisch einigermaßen korrekt die damalige Weltuntergangsstimmung auf. Mit einem Messias an jeder Ecke - bei so einem Überangebot an Heilsbringern hätte Greta mit ihrem Pappschild keinerlei Chancen gehabt, auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit zu erlangen. Mein Fazit: Wenn sich jemand plötzlich für meine Rechte stark macht, den diese bislang nicht die Bohne interessiert haben, dann ist etwas faul an der Sache. Derjenige kämpft erst einmal für sich selbst.
Bleibt noch anzumerken, dass es einer Demokratie eigentlich nicht würdig ist, wenn private Treffen von Pseudo-Faktencheckern mit dubiosen Methoden abgehört werden dürfen. Selbst wenn sich der böse Aktivist aus Österreich dabei aufhält. Und komme man mir nicht mit Verbrechensprävention, denn die Medien finden auch nichts Schlimmes daran, wenn bei den Parteitagen der Linken Reiche erschossen werden sollen, um an deren Geld zu kommen. Gewöhnlich nennt man so etwas "bewaffneten Raub", aber natürlich macht man eine Ausnahme für die stalinistischen Gelüste dieser Delegierten. Niemand scheint allerdings genau zu wissen, was in Potsdam besprochen wurde, der Belastungseifer ist jedoch umso größer. Vielleicht sollte nur das deutsche Asylrecht angewandt und die Abschiebung nicht aufenthaltsberechtigter Personen in die Wege geleitet werden? Ebenso wie es absolut gesetzeskonform ist, Asylbewerber des Landes zu verweisen, welche durch die "Störung der öffentlichen Sicherheit" ihr Recht auf Schutz verwirkt haben. Damit wäre nämlich schon eine Menge Druck aus dem Kessel gelassen. Aber das bespricht man wohl besser hinter geschlossenen Gardinen.
Mirjam Lübke