Als ich vor vielen Jahren meine Arbeit beim deutschen Dienst einer großen amerikanischen Nachrichtenagentur begann, war das fast ausschließlich männliche Personal der dortigen Redaktion ein Sammelsurium ganz unterschiedlicher Bildungs- und Berufskarrieren. Keineswegs alle hatten Abitur oder ein abgeschlossenes Studium, es gab viele Seiteneinsteiger auch aus einfacheren sozialen Schichten. Keiner war ein ausgebildeter Schreiber, also Absolvent einer Journalistenschule. In anderen Redaktionen sah das nicht viel anders aus. Das hat sich längst völlig verändert.
Heute haben die meisten, ja fast alle Journalisten der meinungsbestimmenden Medien einen Universitätsabschluss, können das Zeugnis einer Journalistenschule vorweisen und sind auch viel weiblicher als früher. Zudem entstammen sie in der Regel der gehobenen Mittelschicht oder der Oberschicht. Waren unter ihren Vorgängern im vergangenen Jahrhundert noch jede Menge rebellische Typen, die den Mächtigen grundsätzlich nicht wohlgesonnen waren, überwiegt nun der Typus, der mit den sozialen und politischen Zuständen schon deshalb einverstanden ist, weil er aus den profitierenden Teilen dieser Verhältnisse stammt.
Kürzlich war in den linken „Nachdenkseiten“ der interessante Text der australischen Publizistin Caitlin Johnstone über die Entwicklung des Journalismus in den USA zu lesen, der den sozio-ökonomischen Hintergrund der US-Medienlandschaft beleuchtet. Demnach sind „Mainstream-Journalisten Sprösslinge aus betuchten Familien, die in abgeschirmten Elite-Bildungseinrichtungen aufgezogen werden“. Johnstone sieht darin den „Hauptgrund für die absurde Unterwürfigkeit und die loyale Haltung gegenüber dem Imperium, die wir in der Mainstreampresse sehen. Es sind nicht nur die obszön reichen Eigentümer der Massenmedien, die ihre Klasseninteressen schützen – sondern ebenso die Reporter, Redakteure und Mediengurus.“
Solcher Journalisten, das ist besonders gut in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien zu beobachten, pflegen nicht die kritische Distanz zu den Mächtigen, sondern suchen deren Nähe. Und die Zahl derer, die aus einer Medienredaktion problemlos in eine vorzüglich honorierte Regierungs- oder Blockparteienposition wechseln, ist groß. Man ist sich schließlich ganz und gar nicht fremd. Wer will sich in diesem System der gegenseitigen Begünstigung noch die eigene Karriere unmöglich machen durch allzu unangenehme Nachfragen oder Recherchen?
Weil diese Zustände im geschlossenen System der Macht nicht verändert werden können, ist die Herausbildung massenwirksamer kritischer Medien und Journalisten von entscheidender Bedeutung für die Zukunft. Diese Medien sollten durchaus parteiisch im Interesse der sozial Schwächeren und bürgerlich Stummen im Land sein, aber keine Parteiorgane. Es gibt viele wichtige und wertvolle Ansätze dazu, doch leider noch keine Stimme, die nicht überhört werden kann, weil sie Millionen erreicht.
Wolfgang Hübner