Eigentlich ist die Kontroverse um den Strompreis für die Industrie kein Thema, das für nationale Erregungszustände sorgen müsste. Denn selbstverständlich sollte in einem Industriestaat wie Deutschland dieser Preis so beschaffen sein, dass kein Unternehmen seinetwegen glaubwürdig mit Abwanderung ins Ausland drohen könnte. Doch da sich die Ampel-Bundesregierung dazu bereitgefunden hat, der Existenz als US-Vasall und globaler Energiewendensolist den Vorrang vor fundamentalen ökonomischen wie auch sozialen Interessen zu geben, ist auch dieser Strompreis nun zum politischen Zankapfel geworden.
Profitmaximierende Industriekonzerne, zu Kapitallobbyisten heruntergekommene Gewerkschaften und ausgabenwütige Grüne wollen diesen speziellen Strompreis auf Kosten der anderen Verbraucher sowie der Steuerzahler subventionieren. Die FDP und Ökonomen halten das für falsch. Das Problem: Richtig liegen beide nicht. Denn ein gesenkter Industriestrompreis belastet zusätzlich Klein- und Normalkonsumenten mit höheren Kosten, ist also ungerecht und unsozial. Doch die FDP und Ökonomen blenden aus, dass sie alle bei den extrem schädlichen Sanktionen gegen Energielieferant Russland ebenso gehorsam stramm stehen wie bei der irrwitzigen Energiewendepolitik.
Kein Ausweg, nirgends. Dieser Befund wird nicht leichtfertig für die wirtschaftliche, politische und soziale Perspektive Deutschlands gemacht. Der in Frankfurt lehrende Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, ein kritischer Freund des Kapitalismus, ist nun in seinem denkwürdigen Beitrag „Warten auf das Wunder“ im FAZ-Feuilleton (!!) vom 19.August gnadenlos mit der Schönrederei von Scholz, Habeck und Co. ins Gericht gegangen und schreibt: „Schon das Kleinreden der Energiepreisverteuerungen ist Augenwischerei, wenn man an den Industriestandort Deutschland denkt“.
Es lohnt, den gesamten Text von Plumpe zu lesen, der auch das kommende demographische Desaster behandelt, das „schon gar nicht durch eine unregulierte Zuwanderung schlecht qualifizierter Menschen“ gelöst werden könne, wie der Wirtschaftshistoriker den Bevölkerungsaustausch mit der in seinen Kreisen gebotenen Diskretion benennt. Und selbstverständlich hat er recht, wenn er schreibt: „Wir leben in einer Situation der Selbstblockade. Die alte Befähigung zur Selbstkorrektur scheint mittlerweile der politischen Konfrontation zum Opfer zu fallen…“
Doch wer blockiert? Wer ist nicht mehr bereit und fähig zur Selbstkorrektur? Es ist niemand anderes als der immer hilfloser in seinem eigenen Sumpf versinkende Machtkomplex in Deutschland, der sich nicht mit den realen Problemen beschäftigen mag, sondern lieber über die maximale Unschädlichmachung echter Opposition nachsinnt. Plumpe schreibt im Schlussteil seiner Überlegungen: „Das Land hält sich für reich – und manche Bürger sind das sicher auch. Aber die vielen, auf die es im wirtschaftlichen Alltag ankommt, die alltägliche die produktive Arbeit leisten und das Land tragen, sind es gerade nicht.“
Die Ampel-Regierung, die schon aus panischer Angst vor Neuwahlen zusammenbleibt, sowie nicht weniger die Scheinopposition von CDU/CSU sind und bleiben Gefangene kardinaler politischen Fehlentscheidungen mit schwerwiegenden ökonomischen Folgen. Die Mehrheit der Deutschen will das nach wie vor nicht wahrhaben. Doch wer nicht hören und reagieren will, dem droht Ungemach. Genau das ist längst programmiert. Vor nichts anderem warnt Plumpe - ausgerechnet in der FAZ.
Wolfgang Hübner