Ohne Vorwarnung und vollkommen überraschend. Niemand hat das kommen sehen. Außer ein paar Querdenkern vielleicht, aber das war reiner Zufall und pure Böswilligkeit Karl Lauterbach gegenüber. Schließlich sind diese Querdenker allesamt ungebildete Verschwörungstheoretiker gewesen. Auch ein paar Mediziner und Mikrobiologen wie Wodarg und Bhakdi hatten davor gewarnt - allerdings verfügte Jan Böhmermann, dass diesen auf keinen Fall zugehört werden dürfe, sonst würde er nie wieder einen Fuß in die Sendung von Markus Lanz setzen. Da musste das ZDF Prioritäten setzen: Wer Böhmermann übersteht, müsste eigentlich auch gegen die Gefahren der Impfung gefeit sein. Spontane Übelkeit inbegriffen.
Ganz ehrlich: Als ich das erste Mal auf einem Demo-Transparent von über einer Million gemeldeten Impfnebenwirkungen las, konnte ich es auch nicht glauben. Nicht, weil ich es für unmöglich hielt, dass die Corona-Vakzine als solche Nebenwirkungen haben, aber die schiere Zahl schien mir doch sehr übertrieben zu sein. Aber in der frei zugänglichen Datenbank der europäischen Arzneimittel-Behörde konnte man es nachlesen: Die Zahl stimmte. Eigentlich waren alle erforderlichen Daten relativ leicht zu beschaffen - wenn man denn ein Interesse daran hatte. Und das sollte unter Journalisten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Stattdessen zieht sich nun das große Staunen durch die Medienlandschaft, wenn etwa die "Zeit" gefühlvoll über Menschen mit dauerhaften Impfschäden berichtet. Oder in den Tagesthemen beteuert wird, man habe von nichts gewusst. Ahnungslose Journalisten sind schon schlimm genug, heuchelnde aber noch schlimmer. Es fehlt nur noch die Rechtfertigung "Aber wir haben doch nur Befehle befolgt!" - man ahnt, bei diesen Medienleuten liegt die Aufgabe, den Anfängen zu wehren, nicht in guten Händen.
Die Reue ist auch deshalb so unglaubwürdig, weil es seitens der Presse - zumindest der regierungskonformen - keinerlei Ansätze gibt, die noch andauernden Anfeindungen gegen Maßnahmenkritiker neutral zu kommentieren. Im Falle des "Maskenrichters" Christian Dettmar etwa, der sich wegen eines Urteils derzeit selbst vor Gericht verantworten muss, werden die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft ungeprüft übernommen. Dettmar hatte aus Gründen des Kindeswohls an zwei Weimarer Schulen die Masken- und Testpflicht ausgesetzt und dies durch drei Gutachten untermauert. Für seine Gegner aber stand fest: Der ist mit den Querdenkern im Bunde - und prompt wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet. Da sollte man sich als kritischer Journalist eigentlich wundern, ob das alles noch verhältnismäßig ist.
Auch die drei Jahre Haft, zu denen ein Arzt jetzt verurteilt wurde, mögen formaljuristisch in Ordnung sein. Der Mann hatte gefälschte Impfzertifikate an Patienten herausgegeben. Allerdings nicht, um sich finanziell zu bereichern, sondern um den Impfdruck von Patienten zu nehmen, die sich vor den Nebenwirkungen fürchteten. Offenbar vollkommen zurecht. Da kommen einem spontan die "ehrenwerten Motive" in den Sinn, welche ein Richter der Linksterroristin Lina Engel zubilligte. Oder die milden Urteile gegen diverse Vergewaltiger. Es kann also niemand behaupten, Gerichte hätten keinen Ermessensspielraum bei ihren Urteilen. Wenn es also ausgerechnet einen impfungskritischen Arzt so hart erwischt, dann hat das einen bitteren Beigeschmack.
"Warum werden diese Urteile jetzt noch so gefällt?", kann man sich zurecht fragen. Schließlich geben auch Medien und Politik mittlerweile zu, in der Pandemie Fehler gemacht zu haben. Man kann es als Einschüchterung betrachten, aber auch als "Vergangenheitskorrektur". Denn die liebste Ausrede ist - wie oben bereits erwähnt - das Nichtwissen. Es darf einfach nicht sein, dass es schon vor einem oder zwei Jahren Menschen gab, die etwas sorgfältiger recherchiert haben. Zu dieser Zeit hat man sich schließlich noch alle Mühe gegeben, kritische Stimmen zu kriminalisieren - und das in einem Sprachgebrauch, der direkt aus dem Diktatur-Duden entnommen war. Als dies erstmalig breiter diskutiert wurde, gerierten sich die Täter plötzlich als Opfer.
Mit einer Aufarbeitung dieser Zeit - so notwendig sie auch wäre - hatte ich nie ernsthaft gerechnet. Es geschah, was immer geschieht, wenn eine große Anzahl von Menschen sich an einem Unrecht beteiligt: Der Abgrund wird schnell zugeschüttet, als sei er nie da gewesen. Nun aber vorzugeben, man sorge sich aufrichtig um die Opfer der Impfkampagne, ist der Gipfel der Heuchelei. Miriam Lübke