Es weckt noch ungefähr so viel Vertrauen und Assoziationen mit einer angenehmen Gesellschaft wie ein faules Ei. Wer in der letzten Zeit einmal im Krankenhaus lag, kennt diese bunten Mappen, in denen der Speiseplan liegt. Darauf sieht man leckeres Gemüse, herrlichen Fisch und knackigen Salat - eben die vorgebliche Vielfalt der Krankenhauskost. Und dann bekommt man seine erste Mahlzeit und erkennt sofort, dass man beschummelt wurde. Mit der "Vielfalt" auf dem Teller kann man bestenfalls überleben - mit der von Ricarda Lang angekündigten Vielfalt manchmal noch nicht einmal das. Denn vor allem die Aggressionen, die einem von den "Vielfältigen" entgegenschlagen, sind bedrückend. Ob dominantes Auftreten "vielfältiger" junger Männer oder die Drama-Queen-Attitüde der queeren Szene, es gibt nur noch wenig Freiräume, in die man sich zurückziehen kann.
Das Rühren der Werbetrommel für eine "offene und liberale Gesellschaft" konnte angesichts der gewalttätigen Krawalle in Frankreich nicht lange ausbleiben. Unser Nachbarland ist in Aufruhr und viele Deutsche haben Angst vor einer Ausweitung über die Grenzen hinaus. Einen Vorgeschmack davon haben wir schließlich bereits bei verschiedenen Gelegenheiten erhalten, es ist also vollkommen normal, sich Sorgen zu machen. Wenn Vielfalt - so sie denn überhaupt gesellschaftlich gewollt ist - funktionieren soll, braucht sie aber allgemeingültige Regeln. Und zwar solche, die nicht jeden Tag neu ausgehandelt werden müssen, wie es einmal die Ex-Migrationsbeauftragte Aydan Ösoguz postulierte. Im Moment jedoch bekommen wir noch nicht einmal die Einhaltung von simplen "leben und leben lassen"-Grundsätzen hin. Was hat es noch mit Demokratie und Freiheit zu tun, wenn sowohl Migranten als auch Queer-Aktivisten die Marschrichtung in allen öffentlichen Bereichen vorgeben? In der Debatte wird häufig suggeriert, man wäre gegen jegliche gesellschaftliche Diversität, wenn man lediglich Fairness und Schutz der eigenen Interessen vor Übergriffen einfordert.
Vor allem in der Migrationsfrage darf man bezweifeln, dass die behauptete Vielfalt überhaupt existent ist. Wer offenen Auges durch eins der von Neuzuwanderern bevölkerten Stadtviertel geht, wird rasch feststellen, dass dort eine ausgeprägte kulturelle Monotonie vorherrscht. Denn die "klassischen" Migranten aus Italien, Spanien oder auch Asien haben längst das Weite gesucht. Selbst die Kopftücher der Musliminnen sind nicht mehr so bunt wie früher, als durchaus noch Wert auf einen gewissen islamischen Chic gelegt wurde. Auch die von den Grünen so geliebten queeren Bürger tun gut daran, ihre Neigung nicht in Marxloh oder Neukölln auszuleben. Man wird ihnen hier keine Toleranz entgegenbringen. Vielmehr sind sie hier von ganz realer Gewalt bedroht. Auch das kommt vom Fehlen allgemeingültiger Regeln: Wo aus "kultureller Rücksichtnahme" jegliche Sanktionen ausbleiben, muss man sich nicht wundern, wenn dies als Schwäche und Freibrief ausgelegt wird.
Und genau deshalb kann Vielfalt hier nicht funktionieren, denn es wird andererseits stillschweigend geduldet, wenn ganze Stadtviertel sich aus den gemeinsamen Regeln ausklinken und sogar ein eigenes "Rechtssystem" aufbauen. Ob dies nun auf der Scharia basiert oder auf importierten Traditionen, ist dabei erst einmal zweitrangig. Allein die Duldung dieser familiären Schlichtungsstellen ist schon Kapitulation, üblicherweise würde man deren Vorgehensweise als "Strafvereitelung" werten. Man würde die Grünen unzulässig in Schutz nehmen, wenn man ihnen pure Naivität unterstellte. Gerade deshalb müssen sie den Spieß umdrehen und ihren Gegnern Demokratiefeindlichkeit unterstellen: Anders kommen sie aus der Verantwortung nicht mehr heraus. Es mag auch ideologische Verblendung im Spiel sein, aber selbst ein knallharter Ideologe fragt sich ab und an im stillen Kämmerlein, ob er noch auf dem richtigen Weg ist. Seine Aggressionen gegenüber Kritikern zeigen das nur zu deutlich: Die Kritik ist ein Volltreffer.
Wie ernst die Grünen es mit der Vielfalt meinen, zeigt sich, wenn die wirklich wichtigen Posten in der Partei besetzt werden, die eigenen Kinder schulpflichtig werden oder in einem Szeneviertel eine Flüchtlingsunterkunft errichtet werden soll. Dann bleibt man doch lieber unter sich. Nach den eigenen Regeln. Ricarda Lang lebt jedenfalls weder in Neukölln noch in Duisburg-Marxloh - obwohl selbst das sie wohl kaum ehrlicher machen würde.
Mirjam Lübke