In Nigeria kam WELT-Reporter Christian Putsch ehemaligen Anführern so nahe wie kaum ein Journalist zuvor. Ausführlich berichten sie über Gräueltaten unglaublichen Ausmaßes – und fürchten deshalb nun selbst um ihr Leben.
Seit eineinhalb Jahrzehnten versucht Boko Haram, im Nordosten Nigerias ein Kalifat herbeizubomben – eine eigenständige islamische Theokratie auf Grundlage einer absurd brutalen Interpretation der Scharia. Dafür haben Terroristen wie Musa’id 35.000 Menschen getötet – einige davon klare Kalifatsgegner, die Mehrheit willkürliche Opfer. Und sie haben in Kauf genommen, dass 314.000 weitere an indirekten Folgen wie Ernteausfällen und Wassermangel starben. Es ist eine der brutalsten Bilanzen aller Dschihadisten weltweit
Militärisch konnte Boko Haram trotz enormer militärischer Bemühungen zwar geschwächt, aber nicht völlig besiegt werden. Deshalb setzt Nigeria verstärkt auf ein umfangreiches und umstrittenes Amnestieprogramm, das inzwischen auch den meisten Anführern Straffreiheit verspricht. Musa’id hat es angenommen, wie Tausende weitere Aussteiger. Es ist Nachmittag und der Ex-Terrorist bereit zu einem ersten Treffen, in dem er so ausführlich wie wenige vor ihm aus dem Innenleben von Boko Haram berichten wird.
Ein Mittelsmann hat einen Hinterhof für das Interview arrangiert. Schweigen während der Fahrt. Auf dem Smartphone schaut Musa‘id BBC-Nachrichten – über die TikTok-App. Das Auto steuert auf den Hof, Musa’id will im Auto bleiben. Und reden. Es geht um seine Radikalisierung, Plünderungen, Entführungen, Amputationen, Geldflüsse, aber auch seine wachsenden Zweifel an Boko Haram. Wie aus ihm, einem Verkäufer von Kosmetik-Artikeln, ein Massenmörder wurde. Und wie aus dem Massenmörder jetzt wieder ein gewöhnlicher Verkäufer werden soll.
Auch an der Entführung von über 260 christlichen Schülerinnen aus der Stadt Chibok im Jahr 2014 ist Musa’id beteiligt, organisiert 17 Fahrzeuge für den Transport. Das Verbrechen sorgt für eine weltweite Welle der Empörung. „Wir wollten die Regierung zwingen, alle Schulen zu schließen.“ Boko Haram lässt sich mit „Westliche Bildung ist Sünde“ übersetzen. Neben moderaten Imamen, Soldaten und Polizisten sind Lehrer das häufigste Anschlagsziel.
Auch er legt die internationalen Finanzierungswege offen, spricht über die Verkaufserlöse von importierten Produkten, das Geld dafür sei aus dem Irak und Pakistan gekommen. Der Großteil der Einnahmen stamme allerdings von Entführungen, den Plünderungen von Banken, Geschäften und Häusern. Viele Menschen in den Dörfern bewahren ihre Ersparnisse in Bargeld auf. „In einem Haus haben wir 20 Millionen Naira gefunden“, sagt Rugurugu. Umgerechnet über 40.000 Euro.
Erst als eines seiner Kinder im Jahr 2019 mangels Medizin an Malaria stirbt, die Gerüchte zur Ausweitung des Amnestieprogramms durch Nigerias Regierung konkreter werden, reift der Gedanke an den Ausstieg. Doch Rugurugu wartet noch zwei Jahre lang. Er hat schließlich im Laufe der Zeit die Hinrichtung von zehn seiner Kämpfer persönlich angeordnet. Für Deserteure war die Todesstrafe Standard, an Ort und Stelle vollzogen. „Wenn man einmal im Busch ist, gibt es kein Zurück“, sagt er.
Seit zwei Jahren lebt er nun wieder in Maiduguri. Ganz glaubwürdig ist seine Reue nicht, auch wenn er minutenlang referiert, wie wichtig ihm der Frieden sei. Was er von der Scharia halte? Er erkenne den Staat nun an, sagt Rugurugu – aber fügt hinzu, dass er weiter für eine strikte Anwendung der islamischen Gesetzgebung sei: „Jeder Muslim“ wisse, dass der Koran beim ersten Diebstahl das Abschlagen einer Hand, beim zweiten des Fußes vorsehe.
In Maiduguri, das von Boko Haram jahrelang tyrannisiert wurde, gibt es einigen Widerstand gegen die Terroristen. Doch Rugurugu erzählt, dass er nach einigen Monaten in einem De-Radikalisierungscamp in eine gewöhnliche Siedlung gezogen sei. Seine neuen Nachbarn seien von seiner Reue überzeugt.
Kommentare
Die dürften bereits unterwegs nach D sein. Die evangelische Kirche und diverse steuerfinanzierte NGOs warten sicher schon im Mittelmeer
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Was gehen uns die Probleme in Nigeria an? Wir haben in Deutschland genug Probleme, und die Ampel Regierung erzeugt jeden Tag neue Probleme. Liebe Bürger, wählt einfach die einzige, wirkliche Oppositionspartei und lasst uns endlich mal wieder einen Blick auf unser Land geben. Alles andere können wir danach erledigen
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Gute Frage wieviele schon in Deutschland leben und eine Rundumverpflegung bekommen!?
Mari Horn
https://www.welt.de/politik/ausland/plus244469188/Nigeria-Inside-Boko-Haram-WELT-Reporter-trifft-ehemaligen-Anfuehrer-der-Terrorgruppe.html?fbclid=IwAR19SNDt1Ff8OTS8yAi4N8s1DGlaL5xEhHHIVwaAfzVwDGyA4MW11paMyko