Selbstverständlich gibt es im russischen Riesenreich auch politische und gesellschaftliche Kräfte, die nicht mit den Regierenden in Moskau einverstanden sind. Alles andere wäre auch verwunderlich in einem Staat, der die kommunistische Diktatur hinter sich gelassen hat und in dem seit über 30 Jahren nun kapitalistische Verhältnisse vorherrschen, wenngleich in russischer Variation. Es gab und gibt ohnehin gerade in Zentren Moskau und St. Petersburg immer liberale, westlich orientierte Strömungen in Intelligenz, Kultur und Kunst. In diesen Kreisen war der Schock der Intervention in der Ukraine am größten, nicht wenige haben ihre Heimat seitdem verlassen.
Doch in der russischen Opposition, ob noch im Lande oder jetzt im Ausland, dürfte Ernüchterung und Ratlosigkeit eingekehrt sein. Es ist nämlich nicht mehr zu leugnen, dass der Westen ganz anderes im Sinn hat, als nur die Ukraine zu schützen und ihre Unabhängigkeit zu verteidigen. Denn es gibt in den USA offen Pläne und Diskussionen, nicht nur einen Machtwechsel im Kreml anzustreben, sondern das größte Staatsgebiet der Erde zu zerschlagen und nach jugoslawischem Beispiel aufzuteilen in verschiedene Staaten mit westlicher Abhängigkeit. Denn es lockt der ungeheure Reichtum an Boden- und Naturschätzen in Russland.
Und natürlich soll auch eine hochbewaffnete Atommacht unschädlich gemacht werden. Wenn es nicht diese kaum mehr verhüllten Pläne in amerikanischen politischen Denkfabriken und mächtigen außenpolitischen Kreisen gäbe, würde der gigantische finanzielle und militärische Aufwand für das Regime in Kiew sinnlos sein. Die russische Führung mit Präsident Putin an der Spitze musste unter Schmerzen und Widerwillen im vergangenen Jahr begreifen lernen, dass es nur vordergründig um die Ukraine, in Wahrheit aber um Russlands Zukunft geht. Alles deutet darauf hin: Diese Lektion ist nun verstanden worden.
Genau das macht den Konflikt so ungeheuer gefährlich. Denn wenn es um die staatliche Existenz geht, wird Moskau alle militärischen Möglichkeiten einsetzen, die zur Verfügung stehen. Und die russische Führung kann sehr sicher sein, in dieser Bedrohungssituation den Großteil ihrer Völker hinter sich zu haben. Auch und gerade die einfachen Menschen zwischen St. Petersburg und Wladiwostok fürchten nichts so sehr wie den Zusammenbruch und das anschließende blutige Chaos in Russland. Deswegen werden oppositionelle Kräfte höchstwahrscheinlich langfristig keine Chance haben, sich gegen die Machthaber im Kreml durchzusetzen. Dafür sorgt sehr zuverlässig die westliche Gier, Russland zu ruinieren.
Wolfgang Hübner