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Empathie ohne Bedenken der Handlungsfolgen führt zu programmiertem Versagen – oder: die Kinder von Lesbos

KV-PFORZHEIM-ENZ - 14.03.2020

Liebe Leser,

sicher haben Sie im TV die herzzerreißenden Bilder von Kindern an der türkisch-griechischen Grenze gesehen und die mediale Diskussion verfolgt, mit Videomaterial von Reutters und Save the Children im SPIEGEL-TV über einen Winter in Zelten in der syrischen Provinz Idlib (https://www.spiegel.de/…/syrien-800-000-menschen-in-syrien-…). Im Grunde haben sich sämtliche Organisationen, die sich Menschenfreundlichkeit als Vereinszweck gegeben haben, zu dem Thema geäußert. Sie brauchen nur die äußerst jugendliche „Flucht- und Migrationsexpertin“ von Ärzte ohne Grenzen, Marie von Manteuffel, auf dem ZDF zu lesen (https://www.zdf.de/…/fluechtlingskinder-griechische-inseln-…), um wieder von den üblichen „faschistischen Gruppen“ zu erfahren, die die armen deutschen Helfer*innen bedrohten, die auf Lesbos sage und schreibe eine „Kinderklinik“, eine „Klinik für Folteropfer“ und eine „Klinik für Opfer sexualisierter Gewalt“ betreiben. Ob auch „deutsche Faschisten“ gegen das NGO-Personal vorgegangen seien, wisse man nicht usw. Kurz gesagt: Das Schema ist bekannt, und es ist immer die gleiche Leier. Wer gegen den sattsam bekannten humanitären Aktionismus protestiert, ist unrettbar böse – auch wenn ich im richtigen Leben, ehrlich gesagt, seit Jahren keine rasierten Köpfe und Springerstiefel auf der Straße gesehen habe. Ich vergesse manchmal: Die „neue Rechte“ tarnt sich ja angeblich bürgerlich, und der Extremismus sei schon längst in der Mitte der Gesellschaft. Ein tolles Ding, nicht? Es gibt also scheinbar politische Bewertungsinstanzen in unserem Land, die unabhängig von demokratischer Willensbildung aus dem hohlen Bauch heraus – denn etwas anderes als die ständig überdehnte „deutsche Geschichte“ ist ja nicht festzustellen – und weit im Vorfeld der gültigen Verfassung und der gültigen Gesetze reichten wollen, was in diesem Land eine sittlich zulässige Meinung sei. Und wie zufällig sitzen die politische Macht und die Deuter dieser sittlichen neuen Herrlichkeit wie zufällig im selben Nest öffentlich-rechtlicher finanzieller Abhängigkeiten. Man muss den zersetzenden Unsinn hier nicht wiederholen, den man täglich in taz, Tagesspiegel, ZEIT, SPIEGEL und Co. lesen kann, oder der sich wie ein Schimmelpilz in die öffentlich finanzierten Gesellschaftswissenschaften hineingefressen hat. Man kann diese Positionen auf einen Nenner bringen: Die Mehrheit ist angeblich die Krankheit und die Minderheit ist im Besitz der ewigen Moral. Zur Not findet sich dann irgendein deutscher Nachwuchsprofessor, der Ihnen beweist, dass Sie als Andersdenkender ein retardierter gesellschaftlicher Verlierer, unterdurchschnittlich intelligent, beziehungsunfähig, vielleicht impotent (ein „Incel“ vielleicht?), im Zweifelsfall aber von ungesundem (rassistischem, frauenfeindlichem etc. – irgendwas wird schon passen!) Gedankengut durchseucht sein müssten. Und wenn das nicht reicht, dann findet die Bertelsmann-Stiftung morgen in etwa dasselbe heraus und der DLF wird es verkünden: Schwarz ist Weiß und Weiß ist in Wirklichkeit Schwarz, und überhaupt sind Manche schon erblich Gleicher als Andere und Mehrheiten gelten nur, wenn sie der Regierung passen. Über diese Art von Wissenschaft in deutscher Eigenart, wo sich stets ein Professor findet, der karriereförderlich beweist, dass Deutschsein für Deutsche gar nicht gut sei, hat im Übrigen wohl schon Napoleon mitsamt seiner Mätresse de jour gelacht und dieses Land in Teilung gehalten und mit dem Anfüttern prunksüchtiger, eitler kleiner Fürsten beherrscht. Dieselben Fürsten haben nach 1815 Patrioten aktiv verfolgt und fanden gegen Demokraten Soldaten und – ein Schelm wer am 12.3.2020 Böses dabei denkt – ein notorisches Metternich’sches Spitzelsystem gegen Demokraten und Patrioten schick. Das sollte dann der Biedermeier werden, wo man sich für Blümchen, Poesiealben und Stickereien zu interessieren hatte und gefälligst die eigene Zukunft als Untertan und das eigene Land den Großkopferten überließ, die gerne repräsentierten, fraßen, hurten und soffen. Pardon, das wird jetzt keine klerikale Predigt. Jedoch wird klar: Auch heute fehlt das Interesse des Landes als sittlicher Kompass der Politik bzw. es wird für eigensüchtige Interessen mundtot gemacht. Rechtfertigungskonstrukte werden dann mühelos gefunden. Wenn nicht ganz wenige Medien oder Forscherkollektive heute die bürgerliche Mitte (!) der Gesellschaft als „politisch extrem“ (was ja der Definition von Mitte widerspricht) verseucht diffamieren wollen, dann ist das ebenso bizarr wie die Behauptung eines erblichen Gottesgnadentums. Da stimmt schon von der Physik her vielleicht Einiges im eigenen Weltbild bzw. Orientierungsmuster nicht mehr, und man sollte sich einmal selber hinterfragen. Wir leben in einer Tyrannei der Gesinnungsethik, die alle Pragmatiker zu Ketzern erklärt. Die Mitte wird zur Not auch zur Peripherie erklärt, um gegen den Willen der Mitte herrschen zu können. Selbstzweifel finden mitnichten statt; stattdessen werden unsere ideellen Gegner immer hysterischer und wittern, Sklaven ihrer eigenen Logik (stets die Gesinnungs-Guten zu sein) einen Nazi hinter jeder Parkbank, müssen in ihrer Not die laut drohende Staatsmacht auf vor jedem Gesetz unbescholtene Menschen loslassen, wo sie Wahlergebnisse geistig nicht mehr verarbeiten können und sie auf den sittlichen Kompass, der in der guten alten behäbigen West-BRD galt, längst, Pardon, ohne Scham defäkieren – ja, den Verlust der Scham nicht einmal mehr reflektieren können, so ist ihnen ihr Herrschaftsanspruch zur Selbstverständlichkeit geworden. Hier findet dann gar keine Ethik mehr statt, sondern nur noch Machterhalt um jeden Preis, auch des Verfassungsbruchs. Hier ist die Rhetorik der angeblichen „Verteidigung der Demokratie“ ebenso überhitzt pompös, wie der in Wahrheit verfolgte Eigennutz banal und schäbig. Ehrlich gesagt: Als Abgeordneter erlebe ich das zweimal die Woche.
Von diesen Leuten sind die tatsächlichen Gesinnungsethiker, wie angedeutet, zu unterscheiden: Letztere glauben wenigstens tatsächlich was sie uns erzählen wollen. Auch ist ihre Hysterie ja nachvollziehbar. Ihr Häuflein wird kleiner, wo sie gegen die Vernunft kämpfen, und sie müssen sich ihrer Standpunkte immer lauter versichern und haben sich gegen die Realität in einer hübschen Wagenburg verschanzt. Wo sie sich als gesinnungsgut definieren, müssen wir die Bösen sein, so wie es in jedem noch so kleinen Zirkus einen August geben muss. Sie sehen: Etwas Polemik ist schon nötig in den Zeiten, wo Geheimdienste mit größtmöglich verlogenem „Demokratieschützer“-Pathos als „Notbremse“ gegen demokratische Wahlergebnisse eingesetzt werden und die menschliche Jämmerlichkeit der Auftraggeber ans Licht drängt. Für die Gesinnungsethiker, die ich von diesen ethikfreien Machtzynikern, denen die Macht Ethik genug ist, unterscheiden will und dich ich sittlich doch höher einschätze (sie lügen wenigstens nicht und sind „nur“ selbstgerecht!), ist die Realität längst der Feind, und deshalb sind wir AfDler der erklärte Feind und Objekt zahlreicher Proteste. Natürlich ist auch die EKD mittendrin im Heerlager der selbstgerechten Total-Gesinnungsethiker und in puncto Lesbos schon zu Weihnachten 2019 mit dem Hinweis am Platz gewesen, die Heilige Familie, das seien schließlich Flüchtlinge gewesen (s. https://www.zdf.de/…/hilfe-fuer-fluechtlingskinder-bedford-…). Schauen Sie sich bitte einfach einmal den Gegensatz zwischen den in ihrer großen Mehrheit Frauen, die in Hamburg für die „Seebrücke“ die Aufnahme fordern, wenn „die EU versage“ und den dunkelhaarigen jungen Männern an der griechischen Grenze mit ihren Wurfgeschossen an (s. https://www.zdf.de/…/fluechtlinge-solidaritaetsdemo-hamburg…) und machen Sie sich sein Bild. Kulleraugen, Kindertränen, ein Stück Brot in der Hand gegenüber bösen männlichen, möglichst deutschen Aggressoren, die die Helfer der unfehlbar Schwächsten aus purer menschenverachtender Bosheit attackieren. Ehrlich gesagt – was immer auf Lesbos gerade wirklich stattfindet, eine andere Berichterstattung als diese extrem manipulative, entworfen um jede Ratio auszuschalten, hätte ich in den heutigen deutschen Medien auch nicht erwartet. Verantwortungsethik gibt es nicht mehr, denn das logische Bezugsobjekt der Verantwortung für den Politiker – die Nation – wird schlicht geleugnet oder als vermeintlich ewig verbrecherisch abqualifiziert. Heute behauptet man, der ganzen Menschheit verpflichtet zu sein, aber dazu die Ressourcen der Nation zu verfügen. Allen und doch irgendwie niemand verpflichtet zu sein, anstelle der konkreten Staatsnation, hat den herrlichen Vorteil des Rosinenpickens!
Natürlich – Kinder sind niemals Feinde. Allerdings schadet es nie, bevor man reagiert, eine Lagebeurteilung vorzunehmen: Was will der Andere von mir, der mir z.B. die Kinder in die Kamera hält? Wer ist der Andere überhaupt, was ist sein Nutzen? Was passiert mit mir selbst, wenn ich tue, was er will? Will ich mich jetzt z.B. als freundlicher Altruist gut fühlen und vermutlich irgendwelche Sünden irgendwelcher Vorfahren gut machen, die mir von freundlichen Medien täglich als meine Erbschuld eingehämmert werden? Mache ich als ewiger NS-Sühner für lange vor meiner Zeit stattgefundene Fehler jetzt in ewiger sittlicher Schönheit den „sterbenden Schwan“? Oder habe ich noch an eine andere Zukunft als die fremder Kinder, habe ich an meine Zukunft und die meiner und Ihrer Enkel zu denken? Als Politiker und „alter weißer Mann“ denke ich da etwas traditionell und gebe mein erprobtes Land nicht gerne auf. Bin ich in meiner Situation also ein souveräner Entscheider, der für Morgen Verantwortung trägt, oder bin ich ein mit – grob gesagt – medialen Kindertränen manipuliertes Etwas, das die Interessen Anderer nicht sehen will und das so tut, als hätten Andere keine Interessen, die meinen Interessen zuwiderlaufen? Bin ich verantwortungsethischer Politiker, der in den Kategorien seiner Nation und ihrer Zukunft denkt, der geopolitische Gelüste anderer Akteure als Realität zur Kenntnis nimmt und dazu eine Position findet – oder bin ich gesinnungsethischer Gefangener eines notorischen Helfer- und Wiedergutmachersyndroms, das meine Gedanken zur Zukunft vernebelt und dazu noch mir verbieten will, anderen Akteuren ein geleitet Sein von handfesten Interessen und die Instrumentalisierung emotionaler Bilder zu unterstellen? Das von mir geradezu den sittlich schönen Existenzverzicht zugunsten „unschuldiger“ Völker fordern will? Ein Interessenschutz-Gedanke übrigens, der in einem willig kindisch gewordenen, kindisch gemachten (und darüber habe ich im letzten Wochenkommentar geschrieben) Land heute regelrecht tabuisiert ist. Lieber, als „unschöne Bilder“ sehen zu wollen, ist eine wahnwitzige Politik heute bereit, in bequemer Paarung mit Problemlösungs-Unfähigkeit, lieber auf eine deutsche Zukunft ganz zu verzichten. Als Beispiel brauche ich nur auf die selbstentmächtigenden Landtagsdebatten zu EU-Themen zu verweisen, deren Protokolle ja öffentlich sind. Das wäre uns egal, würde uns dieser selbstzerstörerische Gedanke nicht täglich in einer Art selbstzerstörerischem Elitenkomplott mit aller Staatsgewalt in den Hals gerammt.
Es lohnt sich Eric Gujer am 13.3.2020 in der Neuen Züricher Zeitung zu lesen (s. https://www.nzz.ch/…/die-willkommenskultur-war-nie-mehr-als…), der nüchtern feststellt, Deutschland lasse sich in der Migrationspolitik von Stimmungen treiben und die Grünen blockierten Lösungen im Interesse ihrer Haltung, sich (aus ihrer Sicht) nicht mit Gesprächen mit Erdogan oder Putin moralisch die Hände schmutzig zu machen. Erdogan setzt Menschen als Waffen ein, so schreibt Gujer lapidar, und die Initiative in Europa habe der österreichische Kanzler Kurtz. Immerhin zeigt er mit seinem Bekenntnis zur Grenz-Standfestigkeit politische Verantwortung gegenüber seinem Staatsvolk und Europa. Unsere Gesellschaft bzw. die Medien, die den öffentlichen Meinungsraum beherrschen, hingegen predigen die Verantwortungslosigkeit - den radikalen Individualismus, der die Affekte und die Gefühle vom Tage als absoluten Imperativ setzt und sich mächtig empört, wenn ihnen nicht stattgegeben wird. Gujer hat in der Sache Recht: Es findet keine eigentliche Diskussion über Ethik statt, sondern eine lautstarke Minderheit diktiert dem Land ihre Stimmungen, die sie prompt befriedigt haben will. Die Politik gibt wieder einmal nach, um „hässliche Bilder“ (Demos vordem Kanzleramt und dergleichen) zu vermeiden – die von Erdogan kühl kalkulierte moralische Erpressung hat ihre hiesigen willigen Werkzeuge (fast hätte ich mit Lenin gesagt: ihre nützlichen Idioten) gefunden. Wohl nie in der Geschichte hat ein Land, das einst so viel leisten konnte und der Welt so viele positive Errungenschaften in z.B. Wissenschaft, Philosophie oder Technik geschenkt hat, sich derart gehen lassen wie unser Land heute und sich dabei an seiner eigenen Zukunft unverzeihlich versündigt. Stets wird dieses Land behandelt, als könne man es unaufhörlich demütigen und daran abreißen, und es erneuere sich dabei doch auf wundersame Weise selbst und der Bestand dieses verachteten Objekts sei dennoch garantiert. Stets wird uns als Tugend präsentiert, nichts für dieses Land zu tun, oder ees werden uns Identitätskonstrukte vorgesetzt, mit denen wir nicht heimisch sindIch habe keine Lust, auf dieses von Merkel sedierte, eingeschüchterte und schon fast beerdigte Land auch noch Nachrufe verfassen zu müssen, sondern ich wünsche mir Politik und Freude für die Zukunft – nämlich die Zukunft von uns Deutschen. Wem das nicht passt, auch nicht den Herrschaften vom Geheimdienst, die hier sicherlich mitlesen – der soll sich gefälligst endlich die Präambel des Grundgesetzes von 1949 durchlesen, die klar sagt, von wem und für wen das Grundgesetz geschrieben wurde. Wem diese Präambel nicht passt – was tut der in einem Staatsamt?
Die heutige „moralpuristische“ Haltung gerade der Grünen, die mit Diktatoren nicht reden wollen und sich einbilden, die Probleme der Welt durch deren Verlagerung nach Deutschland zu lösen, möchte ich mit einem Beispiel aus der Weltliteratur veranschaulichen. Kinderleid zu lindern ist demnach heute höher zu bewerten als jede Zukunftserwägung – genau wie der russische Romancier von Weltrang Fjodor Dostojewski auf dem Standpunkt stand, keine Revolution sei auch nur eine Kinderträne wert. Entsprechend hat er Tausende von Seiten Literatur voller minutiöser Introspektion und moralischer Erörterung zur Conditio Humana und ihrer jenseitigen Erlösung geschaffen – das Elend des Staates seiner Zeit, die Armut der nominell aus der Leibeigenschaft der Bauern, die wirtschaftlich-technische Rückständigkeit, den dekadenten schalen Glanz der autokratischen Herrschaft hat er damit lediglich beschrieben, aber nicht verändert. Als die gesellschaftlichen Widersprüche sich am Ende des Ersten Weltkrieges in der brutalen bolschewistischen Revolution Luft machten und das Land in Bürgerkriegsgewalt versank, wurde nach Kindertränen nicht mehr gefragt. Im Gegenteil, gerade im Ausrotten mit Stumpf und Stiel suchten diese Herrschaften ein irdisches Paradies zu verwirklichen. Dostojewski wollte den Terrorismus nicht, wollte die Verfolgung Unschuldiger nicht – doch auf eine sittliche Besserung des Menschen zu hoffen und Lebenspostulate zu formulieren, hat die reale Gesellschaft eben nicht weitergebracht und keines ihrer Probleme gelöst. Die Gesinnungsethik ist Weltliteratur geworden, hat aber das Elend nicht beseitigt, sondern stand ihm hilflos gegenüber.
Nun hat der Koalitionsausschuss in Berlin vor wenigen Tagen beschlossen, bis zu 1.500 Kinder aus elenden Zuständen auf Lesbos nach Deutschland aufzunehmen. Mehr sei nicht drin, so lässt man verlauten, und man wolle in der EU eine „Koalition der Willigen“ schmieden; im Übrigen bleibe die EU hart und werde diesmal ihre Grenzen schützen. Die Botschaft hör ich wohl, doch als mißtrauisch-garstiger „Rechtspopulist“ (vulgo: Realist), der ich nun einmal zu sein scheine, fehlt mir doch der Glaube. Es ist Herrn Erdogan erst einmal gelungen, mit – verzeihen Sie mir – menschlichen Schutzschilden eine prinzipielle Durchlässigkeit der Grenze zu erreichen. Wenn in der syrischen Provinz Idlib tatsächlich drei Millionen Flüchtlinge in Lebensgefahr ihr Dasein fristen, dann wird die Festlegung, warum gerade 1.500 Kinder aufgenommen werden sollen, eine rein willkürliche und nach ultrahumanem Kalkül – damit eine herzlose. Denn das absolute Gute mit seinem geradezu totalen Imperativ, ich wiederhole mich, duldet dann ja keinen Kompromiss, keine Pragmatik, sondern will allen helfen, nicht wahr? Die banale Binsenweisheit, dass es einem selber gut gehen muss (und man dafür sorgen muss, dass es einem auch Morgen gut geht), wenn man Anderen helfen will – sie wird gegenüber dem subjektiven Wohlgefühl, jetzt das Richtige zu tun, verdrängt. Dass es in der Medienberichterstattung als „rechts“ oder gar „faschistisch“ gilt, sich über diese subjektive Moralautonomie, die das Individuum zugunsten des Kollektivs radikal überhöht, milde lustig zu machen, brauche ich heute nicht extra zu sagen. Die Lage, die wir konstatieren müssen, ist: Ein Despot hat unsere weiche Stelle gefunden, die Negation des Kollektivs zugunsten des individuellen Gutwunsches, und treibt sein Spiel mit uns. Er hat einen Türöffner gefunden, gegen den kein Stacheldraht hilft. Und übrigens: Es wundert mich immer wieder, wie unbarmherzig gerade die heutigen Bekenner-Gutmenschen häufig gegen die Generation der eigenen Großeltern oder Urgroßeltern und deren Leid- und Fluchterfahrungen sind. Einem jeden Fremden wird heute maximale Hilfsbedürftigkeit und Unschuld zugestanden, während man mit widerwärtiger Selbstverständlichkeit entweder die eigenen geflüchteten Vorfahren pauschal als „selber-Schuld-Nazis“ diffamiert oder ihnen in der Form ihrer heutigen Landsmannschaften gerade noch als Folkloreerscheinung toleriert und den Beitrag von Sudetendeutschen, Schlesiern oder Ostpreußen zu unserer Gesellschaft gerade einmal patronisierend als Vorbild für die Integration von Arabern in eine „vielfältige“ Gesellschaft darstellt. Unseren eigenen Flüchtlingen hat man die politische Dimension und Bedeutung rigoros genommen und braucht sie nur noch als Versatzstück für die eigene abgeschmackte Eine-Welt-in-Deutschland-Ideologie. Wer damit am meisten beleidigt wird, wenn man den eigenen Vorfahren z.B. den Sitz in einem Rundfunkrat streicht und sie zu einem gesponserten Kaffeekränzchen degradiert, urteilen Sie bitte selbst, liebe Leser. Schwäche, auch sittliche Haltlosigkeit, wird immer als Schwäche verstanden. Kurz gesagt: Die Kinder von Lesbos können nichts dafür, aber sie sind auch nicht von selbst an die EU-Grenze gekommen. Wir müssen heute gewärtigen, dass diese Kinder heute leider als Waffe gegen unsere staatlichen und gesellschaftlichen Interessen, gegen die Souveränität unserer Entscheidungen eingesetzt werden. Und doch sind, wie gesagt, Kinder niemals der Feind. Zweifellos sind die Elendsbilder Erdogans Kalkül, meines Erachtens aber auch zu einem Gutteil das Kalkül von kulturfremden Familienverbänden, die sich eine Eintrittskarte letztendlich in unser Land schaffen wollen, wo sie sich ein besseres Leben versprechen. Wir allerdings sind unseren Bürgern verpflichtet, dass auch unser Leben gut bleibt. Den Kindern Gerechtigkeit zu tun ist Eines, aber man darf dem Despoten seinen Willen dabei nicht geben.

Erdogan wird uns Geld abtrotzen, da gibt es keinen Zweifel. Aber auch die spontane, Affekte befriedigende Hilfsbereitschaft wird nicht billig. Rechne ich für einen Unbegleiteten Minderjährigen Ausländer (respektive ein Kind mit traurigen Kulleraugen) den Erfahrungswert von ca. 6.000 Euro pro Monat an Ausgaben an Steuermitteln, vom Wohnen bis zur psychosozialen Betreuung, dann kostet uns das im Jahr 90 Millionen Euro. Schließlich werden diese Kinder nicht in der Löwenzahn-angemalten Baubude des Lebenskünstlers Peter Lustig mit seinen Latzhosen aufwachsen, sondern brauchen den vollen steuerfinanzierten Betreuungsbedarf deutscher Jugendämter samt Wohlfahrtsträgern oder Pflegefamilien, mit am Ende fast mehr Personal als Betreuten. In der Praxis gehe ich freilich davon aus, dass im grenznahen Gebüsch auf Lesbos die Großfamilie des Betreuungsfalles bereits mit gepackten Bündeln Ausschau hält, wie sich das Schicksal des vorgeschickten und (bitte verzeihen Sie meinen „populistischen“ Realismus) meines Erachtens häufig genug auch instrumentalisierten Sprößlings weiter entwickelt, und wann man denn im Familienverband nach Deutschland übersiedeln und nachziehen könne – das deutsche Grundgesetz stellt schließlich nach Art. 6 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates, und dies meiner Meinung nach offenbar in besonderem Maße, wenn es sich nicht um gewöhnliche einheimische Staatsbürger, sondern um politische Vorzeigefälle unserer humanen Staatsraison handelt. Warum sollte jetzt nicht funktionieren, was seit 2015 so euphorisch eingeübt wurde, während man allen Andersdenkenden mit Mitteln an den äußersten Grenzen des Rechtsstaates rigoros das Maul stopfte? Ich bin der Meinung, dass 90 Millionen Euro Steuergeld selbst in der Merkelzeit keine Erdnüsse sind – und dass man dieses Geld überlegter einsetzen kann, und dabei den Kindern in den griechischen Flüchtlingslagern immer noch in menschlich geeigneter und fairer Weise hilft. Es besteht keine Not, fremden Menschen (absehbar mit ihren Familien) in unseren Kulturbereich zu ziehen, deren tatsächlichen Bedürfnissen auch außerhalb unserer Grenzen abgeholfen werden kann. Ich verspreche Ihnen hier keine makellos sittlich schöne Statue aus weißem griechischem Marmor, aber vielleicht einen gangbaren Vorschlag zur öffentlichen Diskussion. Diese Bedürfnisse sind: Eine stabile Umgebung, Vorhandensein von Bezugspersonen – idealerweise die Familie, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung. Die stabile Umgebung ist mittelfristig zu schaffen, indem man mit Wem-auch-immer-notwendig- und-in-einer-Entscheidungsposition in den Herkunftsländern der Flüchtlinge redet und verhandelt, aber das liegt heute noch nicht in unserer Hand. In Syrien die Heimat der Flüchtlinge wieder stabil und bewohnbar zu machen, wird mangels anderer williger Kandidaten wohl am Ende der EU zufallen – die bisher keine gute Figur gemacht hat. Eine Schutzzone in Syrien kann auch niemand militärisch erzwingen, mit was für einem Mandat bitteschön auch, aber vielleicht lässt sie sich verhandeln. Bevor wir nämlich Herrn Erdogan wieder finanzieren und zu unserem selbstherrlichen Pförtner machen, der uns gegenüber doch stets zur Erpressung neigt, sollten wir zur Linderung des Leides der tatsächlichen Flüchtlinge mittelfristig auch Diejenigen als Gesprächspartner ins Auge fassen, die in Syrien etwas zu sagen haben.

Die Wirtschafts-Glücksucher aus Afghanistan oder Bangladesch gehen uns hingegen, mit Verlaub, nichts an. Welchen Sinn es hatte, in einem seit etwa 2003 in Afghanistan geführten Krieg den Einheimischen Hoffnungen auf eine wohlständigere, weniger brutale Gesellschaft zu machen, die wir niemals erfüllen konnten, sei dahingestellt. In jedem Fall werden wir zahlen müssen, da absehbar (und zu Recht) auch niemand die Knochen deutscher Soldaten für sehr vage Dinge riskieren wird. Die Frage ist, wofür wir zahlen und was dabei für uns herausspringt. Und warum sollte man Kinder aus ihrer Kultur herausreißen und verpflanzen müssen, um ihnen zu helfen? Verantwortungsethik drängt uns dazu, das gerade in deren Sinne wie auch im Sinne unserer eigenen Interessen nicht zu tun. Ich glaube nun nicht daran, dass man den Zuständigkeitsbereich deutscher Jugendämter über die deutschen Grenzen hinaus ausdehnen kann – jedoch wird man Personal mit Verwaltungserfahrung im Jugendbereich sicher brauchen können. Mein Vorschlag: Für 90 Millionen Euro ließe sich z.B. im Ausland ein vorzugsweise exterritorialer Bereich einrichten, möglicherweise auf einer griechischen oder besser noch Nicht-EU-Insel, womöglich in der Regie der EU oder – sollten die sich jemals zu einer Problemlösung fähig erweisen – gar der UN, oder einer sonstigen „Koalition der Willigen“, solange es real nur hilft. Wir müssten dann auch keine Polizeibeamten schicken, sondern Jugendpfleger (sofern wir Sprachprobleme lösen). Es ginge darum, in einem solchen exterritorialen Bereich zeitweilige Strukturen einzurichten, die Kinder aus prekärer Situation holen, beschützen und bilden, sofern diese wirklich keine Familie haben, die für sie sorgen kann. Ich denke an eine Form von „Jugenddörfern“ – was im Bereich der freiwilligen, auf Spenden gegründeten Wohlfahrtsleistung und von einer idealistischen Organisation getragen funktioniert, sollte sich auch unter der Verantwortung eines oder mehrerer Staaten in vergleichbarer Form aufziehen lassen. Dort würde es alles geben, was Kinder zum gesunden Heranwachsen brauchen – angefangen von der eigenen ethnischen Kultur bis hin zu einer normalen Schulbildung, die zum Erfolg im Heimatland befähigt, sobald dieses befriedet ist. Zugleich muss ein Schicksal vergleichbar dem der exilierten Palästinenser vermieden werden, indem man sich zeitig und dauerhaft mit der politischen Macht der Herkunftsländer ins Benehmen setzt. Dies mag vom heutigen Standpunkt noch naiv klingen, doch sehe ich in dem Versuch die einzige gangbare Lösung, um sich eine dauerhafte Exil- und Diasporasituation gar nicht erst entwickeln zu lassen. Versucht muss es werden, denn es ist nichts Besseres am Horizont. Denn, ehrlich gesagt, die Integrationsbemühungen in Deutschland halte ich bei einer ständig wachsenden, hinzu migrierenden Bevölkerung – zumal eine Begrenzung nicht einmal als Staatsinteresse definiert wird, sondern das Gegenteil davon – auch langfristig für illusorisch. Integration äußert sich heute meistenteils in immer neuen Zumutungen an die einheimische Bevölkerung, ihre eigenen Lebensgewohnheiten zu hinterfragen und aufzugeben. Auch dies ist nicht unendlich fortsetzbar. Wenn die EU sich weiterhin zu Lösungen unfähig zeigt, dann sollten wir Deutsche der EU diese über die Köpfe der Bürger hinweg angemaßten außenpolitischen Zuständigkeiten wider entziehen und sie zurück in unsere eigene Verantwortung holen: Immerhin haben wir dann die Chance, dass wir unsere Migrationspolitik nach unseren eigenen Interessen selber bestimmen. Das schließt die wirksame Hilfeleistung außerhalb unserer Grenzen keineswegs aus. Jedoch wollen wir kein Geld für sinnlose Prestigeprojekte oder für Propagandafeldzüge gegen andere Staaten, oder unsere eigenen gegen Brüssel widerspenstigen EU-Nachbarn, ausgeben – sondern wollen für unser Geld eine konstruktive Politik, die uns selbst nicht im Regen stehen lässt. Von der organisierten Verantwortungslosigkeit, dem Versagertum, der himmelschreienden Unfähigkeit und Privilegiengeilheit, das Klammern an Pfründen bar jeder Pflichterfüllung, die dieses Land selbst unter zunehmender Einschüchterung weiter Teile seiner Bevölkerung nur noch abzuwickeln und nichts Konstruktives mehr zu bauen vermag, haben wir genug gesehen. Und wohin die entgrenzte Gesinnungsethik führt, haben wir schon gesehen.

Ihr
Emil Sänze

 

 
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